Zweiunddreißig.

Vom Himmel aus betrachtet, sieht alles gleich ganz anders aus. Der Handwerker stand auf der Baustelle. Er betrachtete den Teil der Arbeit, die bereits erledigt war. Zufriedenheit spiegelte sich in seinen Augen. Es war keine alltägliche Aufgabe, sondern eine, die ein klein wenig mehr Feingefühl erforderte. Mit Hilfe eines großen Krans hatte er verschiedene Bauteile übereinander aufgebaut. Nur das finale Stück fehlte. Als ich fragte, wann dieses seinen Platz finden würde, sagte er auf eine norddeutsche, kühle, aber keineswegs unfreundliche Art: „Erst machen wir Mittag.“ Da schenkte mir das Leben Zeit. Zeit der guten Sorte. 

Unweit der jener Baustelle zog ein Fluss seine wunderschöne Kurven durch die stille und einsame Landschaft. Wälder, einzelne Bäume, grüne Wiesen und Felder säumten seinen Weg. Von unten betrachtet, wirkte die Szenerie schon wunderschön. Von oben allerdings, musste sie beeindruckend ein. Ich nahm die Drohne aus dem Koffer, wechselte den ND-Filter und hob ab. Langsam flog ich über die Wiesen und Felder und folgte dabei stetig dem Lauf des Flusses. Über das Display der Fernbedienung betrachtete ich die Welt vom Himmel aus. Alles wirkte friedlich, Ich begriff, was es bedeutete, dass von dort aus alle Sorgen und Nöte nichtig und klein erscheinen.

Die restlichen Arbeiten auf der Baustelle verliefen reibungslos. Ich schoss meine Fotos, machte meine Aufnahmen und zog von dannen. Auf der Fahrt zurück ins Büro hing ich meinen Gedanken nach. Vielleicht stimmt es, dass wir die Welt nie so sehen, wie sie ist, sondern dass wir sie so sehen, wie wir sind. Vielleicht ist es richtig, dass Lebenskrisen oftmals nichts anderes als Wahrnehmungskrisen sind und dass wir, wenn wir unsere Wahrnehmung, den Blickwinkel oder auch die Perspektive ändern, sich alles ändert. Sicherlich ist das nicht immer leicht, bestimmt gibt es Situationen, in denen es nicht möglich ist, am Ende kann ich das nicht mit Gewissheit sagen. Der Gedanke aber, der gefiel mir. 

Von der einen auf die andere Sekunde, verschwanden meine Gedanken. Ein Fahrzeug von der Gegenfahrbahn kam mir entgegen. Es scherrte aus der Reihe der Autos aus und setzte zu einem mehr als riskanten Überholmanöver an. Ob der Fahrer oder die Fahrerin mich übersah, kann ich nicht sagen. Es spielte keine Rolle. In diesem Moment spielte nichts mehr eine Rolle. Mein Verstand gab jeglichen Gedanken auf, mein Herz raste, der Puls war im ganzen Körper zu spüren. Alles verlief unfassbar schnell und die Zeit überhaupt nachdenken zu können, war nicht existent. Ich bremste, riss das Lenkrad ein zur Seite und kam ein Stück von der Straße ab. Haarscharf fuhr der andere Wagen an mir vorbei. Passiert ist nichts.

Im Büro atmete ich tief durch. Ich ließ mich auf meinen Stuhl nieder und blickte nichtssagend und tatsächlich nichtsdenkend aus dem Fenster. Wie lange? Keine Ahnung. Irgendwann schaute ich mich um und mir fiel direkt das Chaos auf, welches zum Teil einigen Renovierungsarbeiten geschuldet ist. Und während ich einiges nicht ändern konnte, ging ich anderes an. Auf dem Schreibtisch lagen Fotoequipment, Unterlagen und anderer Kram. Hob ich einen Teil an, blieb der Abdruck dessen im Staub sichtbar. Nach und nach räumte ich alles auf, wischte ab, was ich abwischen konnte, und machte mich an die tägliche Arbeit. Später am Abend, als ich die Dinge aufschrieb, für die ich dankbar war, notierte ich nur zwei folgende Sätze:

„Ich bin dankbar für die 2 Lektionen des Tages, die mir das Leben heute geschenkt hat. Vom Himmel aus betrachtet, sieht alles gleich ganz anders aus.“