Vierundsechzig.

Im kühlen Licht des frühen Morgens, das sich zaghaft und schüchtern über die Landschaft legt, spüre ich eine Reinheit, die der erwachenden Welt vorbehalten ist. Weit entfernt vom murmelnden Lärm des nahen Dorfes, erstrecken sich die alten Feldwege, gleichsam als würden sie Zeugen einer längst vergangenen Zeit sein. In dieser Stunde, wo das morgendliche Zwielicht auf das Dunkel der Nacht trifft, offenbaren sie eine Gelassenheit, die selbst den scheuesten Bewohnern des Waldes eine Zuflucht bietet.

Später, wenn der Tag seinen Zenit erreicht, wird sich die Welt in ihrer Aufgeregtheit und ihrem unermüdlichen Treiben verlieren. Doch hier, in dieser Abgeschiedenheit, scheint diese Hektik unbekannt. Hier hat das laute Getöse des Lebens, das im ständigen Takt unserer Zeit pulsiert, keinen Platz. Es gibt Orte, die sich dem Druck der Welt entziehen, und dieser ist einer davon. Die ersten, sanften Nebelschwaden des Herbstes verflechten sich hier nahtlos mit dem letzten Atemzug des Sommers und schweben fast geisterhaft zwischen den ausgestreckten Ästen der Bäume. Es ist, als wäre die Ruhe nicht nur ein Zustand, sondern ein uraltes Gesetz, das hier, an diesem Ort, seit jeher Bestand hat.

Auf diesen Pfaden meiner morgendlichen Wanderungen begegne ich keinerlei Zeichen menschlicher Intimität – weder der leidenschaftlichen Liebe noch dem zermürbenden Hass. Selbst die Gleichgültigkeit, die manche Menschen wie einen unsichtbaren Mantel tragen, bleibt mir hier erspart. Inmitten der endlosen Weite, umgeben von der Stille, die nur von gelegentlichen Vogelstimmen durchbrochen wird, verliere ich für einen Augenblick jegliches Gefühl der Zugehörigkeit. Es ist ein Ort, an dem ich mich, zumindest für diesen Moment, in der tiefen, undurchdringlichen Gleichgültigkeit der Natur verliere.

Wenn die Sonne ihren Aufstieg am Firmament fortführt und ihren höchsten Punkt erreicht, beginnt die Welt zu pulsieren, zu vibrieren in ihrer eigenen, ungestümen Melodie. Es ist eine Zeit, in der die Straßen und Plätze widerhallen vom Lärm der Menschheit, die sich in einem endlosen und oft sinnlosen Sturm der Eitelkeit und des Begehrens verliert.

Die sogenannten Mittelpunktmenschen, immer in dem Glauben, dass sie die Hauptfiguren im Theater des Lebens sind, proklamieren voller Selbstbewusstsein ihre Siege, ihre Begegnungen, als wären diese Zeugnisse von Bedeutung in der ewigen Chronik der Zeit. Der Druck, der aus den eng beschriebenen Seiten der Kalender, gefüllt mit Terminen und Verpflichtungen, erwächst, formt und verformt uns. Er treibt uns zu Handlungen, die unsere Seele nicht begehrt, die wir unter anderen Umständen vielleicht nie in Betracht ziehen würden.

Und es gibt jene, die sich von der Masse nicht abheben, aber dennoch ihre eigenen, inneren Dämonen bekämpfen – den Schmerz, der von einer tief sitzenden und oft unbenannten Unzufriedenheit herrührt. Einige suchen Zuflucht in den dunklen Gassen der Tratscherei, wo das Gift der Worte sich schnell verbreitet. Andere, verführt von der Flucht in die Vergessenheit, suchen Trost in Rauschmitteln, die versprechen, zumindest vorübergehend, den Schmerz zu lindern und die Welt zu verdunkeln.

Aber in diesen ersten Stunden des Tages, wenn die Welt noch im Halbschlaf verweilt und die Unschuld des Morgens unberührt ist, ist all das entfernt. Hier, umgeben von der Stille, die nur von der leisen Melodie der Natur durchbrochen wird, erkenne ich, was Frieden wirklich sein kann. Es ist ein kurzer Blick in das, was einige das Paradies nennen würden – ein Vorhang, der sich für einen Moment hebt und einen Ausblick auf den unendlichen Himmel gewährt.

Es gibt Momente, in denen die feinen Nuancen des Lebens sich mir offenbaren, in denen ich begreife, dass das Aufgeben und Loslassen vielleicht der Schlüssel zu meiner eigenen Erhebung, meinem eigenen Himmel sein könnte. Die Morgenstunden sind solch ein Zeitfenster, ein kurzer Augenblick, in dem die Zeit stillzustehen scheint und das Universum mir eine seiner tiefsten Lektionen lehrt.

Wenn der Herbst sich mit leisen Schritten ankündigt und die Natur langsam in seinen Bann zieht, vermitteln die Bäume mir eine Botschaft von einer Kunst, die in ihrer Schlichtheit und Reinheit beinahe transzendent erscheint – das Kunstwerk des Loslassens. Sie erzählen mir Geschichten, nicht in Worten, sondern in Farben und Bewegungen. Da, wo vor kurzem noch ein saftiges Grün mein Auge erfreute, breitet sich nun ein Kaleidoskop aus Rot, Orange und Gold aus. Es ist ein Feuerwerk, ein letztes Aufbäumen vor dem unvermeidlichen Ende.

Der Nebel, der sich gleich einem stillen Beobachter über das Land legt, lässt diese Verwandlung fast wie ein Gemälde alter Meister erscheinen. Die Blätter, die sich in ihren lebendigsten und feurigsten Farben zeigen, bereiten sich auf ihren Abschied vor. Und dann, mit der Sanftheit und Gewissheit, mit der alles in der Natur geschieht, lösen sie sich und schweben zu Boden – ein letzter, eleganter Tanz in der Morgenluft.

In diesem Übergang, in diesem ewigen Zyklus des Werdens und Vergehens, sehe ich mich selbst. Im ständigen Wechsel der Jahreszeiten, im unablässigen Rhythmus von Geburt und Tod, Erneuerung und Verfall, spiegelt sich die ganze Tragik und Schönheit meiner eigenen Existenz. Es ist ein Morgen des Erkennens, ein Moment des Innehaltens und des Nachsinnens über das, was es bedeutet, wirklich zu leben.