Zwanzig.
Heißt es tatsächlich „Flex“? Diese Frage stellte ich mir gestern, als ich am Tisch stehend, eine Pizza aß. Die Küche hatte der soziale Briefkasten längst abgeholt. Die Stühle standen eingemottet irgendwo unter einer Folie. Ich hätte im Büro essen können. Am Schreibtisch. Vor dem Rechner. Aber ich mag es nicht, nach Wochen längst vergessene Krümel zu finden. Also stand ich in dem kahlen Raum, am Tisch, aß Pizza und fragte mich, ob „Flex“ wirklich der gängige Fachbegriff war.
Ich meine, der Zollstock heißt in Wirklichkeit Gliedermaßstab. Und niemand zieht mit einem „Schraubenzieher“ Schrauben aus der Wand. Sie werden gedreht, weshalb das Ding fachlich gesehen ein Schraubendreher ist. Aber ein „Flex“? Es wäre ein leichtes gewesen, mir diese Frage selbst zu beantworten. In den gängigen Suchmaschinen hätte ich eine korrekte Lösung gefunden. Doch ich mochte den Gedanken, es nicht zu wissen. Eine Schwäche, über die viele Handwerkerinnen und Handwerker gelacht hätten. Viele dieser Handwerkinnen und Handwerker allerdings, würden Montag wieder auf der Baustelle stehen und irgendjemanden zurufen, er oder sie solle die Flex aus dem Bulli mitbringen.
Vor einiger Zeit noch, hätte ich diese Unsicherheit, dieses Unwissen nie öffentlich preisgegeben. Schwächen zuzugeben ist etwas, das „man“ besser sein lässt. Das Gegenteil sollte „man“ tun. Mittlerweile ist das Internet voll mit Expertinnen und Experten. Überall lassen sie sich finden. In den sozialen Netzwerken sowieso. Und jeder dieser Personen ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. Sie wissen Bescheid, bieten Lösungen und helfen immer. Meistens gegen Geld. Sollen sie. Ich hingegen stehe in einem nackten Raum, am Tisch und esse Pizza, während ich mich frage, wie der fachlich richtige Begriff für ein Werkzeug ist, mit dem man alles Mögliche schneiden kann.
Wie bereits geschrieben, ich mochte dieses Gefühl der Unwissenheit. Dieses mir eingestehen, dass ich nicht alles wissen kann und vor allem wissen muss. In Anbetracht des geballten Wissens, welches es derzeit auf der Welt gibt, weiß ich tatsächlich gar nichts. Wäre ich früher vielleicht anderer Meinung gewesen, würde ich mich heute nicht mehr als „Wissend“ bezeichnen. Ich weiß etwas, aber lange nicht alles. Und das ist für mich vollkommen in Ordnung.
Für eine Bekannte wäre es das nicht. Sie weiß alles. Glaubt sie. Es gibt kein Thema, in dem sie nicht bewandert ist. Ständig kann sie ihren Senf dazu geben. Sie muss es nicht, macht es aber dennoch. Sie ist so stolz auf das, was sie weiß, dass sie es mitteilen muss. Das Problem ist nur: Es nervt. Menschen, die glauben immer alles zu wissen und selbst einfache Gespräche mit diversen Fakten unterstreichen zu müssen, nach denen niemand gefragt hat, strengen mich an. Sie sind oftmals besessen nach Anerkennung und voller Angst vor Ablehnung. Darüber hinaus – und das geschieht wahrscheinlich unbewusst – möchten sie durch ihre geballte Kompetenz beweisen, dass sie besser sind. Doch das sind sie nicht. Niemand ist besser, weil er viel weiß. Du kannst Lexika aus dem Kopf zitieren können und trotzdem ein Arschloch sein.
Als ich den letzten Bissen herunter schluckte, wusste ich es immer noch nicht. Ich musste lachen. Nicht darüber, dass ich es nicht wusste, sondern vielmehr darüber, dass ich mich während des kompletten Essens mit einer Frage beschäftigt hatte, dessen Lösung einige Tasten entfernt war. Anstatt direkt nach der Antwort zu suchen, hatte ich einfach akzeptiert es nicht zu wissen. Mehr noch, ich hatte beschlossen, es der „Welt“ sogar mitzuteilen, dass ich es nicht wusste. Ob das hier jemand lesen würde, war natürlich eine ganze andere Frage. Aber ich fand es gut, einfach mal zugeben zu können, etwas nicht zu können oder in diesem Fall, etwas nicht zu wissen.
Heute morgen traf ich meinen Nachbarn auf der Straße. Er ist bestimmt doppelt so alt wie ich. Genau kann ich es nicht sagen. Doch was ich sagen kann, ist, er selbst hatte jahrelang als Maurer gearbeitet und konnte mir eine ganz simple Antwort auf meine Frage geben. Winkelschleifer.