Fünfzig.

Pausen. Das ist kein sanft formulierter Vorschlag, sondern eine ausgewachsene, nicht zu ignorierende Pflicht. Selbst Gottfried Keller hat es uns ja schon unter die Nase gerieben: „Ruhe zieht das Leben an, Unruhe verscheucht es“. Und so sitze ich hier, ein Stück Mohnkuchen in der Hand, das gerade eine heftige Polka auf meiner Zunge tanzt, und einem Kaffee, der dampft, als hätte er gerade das Saunieren für sich entdeckt. Mein Blick fällt auf den Kamin. Aber ein gemütliches, wärmendes Feuer? Fehlanzeige. Auch wenn ich mir das schon des Öfteren gewünscht hätte. Aber Stopp, Pausen haben ihre ganz eigene Dramaturgie. Ein Feuer im Kamin ist erst statthaft, wenn draußen die Blätter tanzen oder die Schneeflocken die Welt in eine weiße Decke hüllen. Man will ja nicht mit dem natürlichen Rhythmus brechen.

Der Großteil meines Tages bestand darin, den Computerbildschirm anzustarren. Fast schon besessen habe ich alte Fotos durchstöbert, Bilder beäugt, Motive aussortiert. Wie ein Archäologe auf der Suche nach einem seltenen Relikt. Daneben habe ich die neuesten Gesetzestexte gewälzt, als wäre ich ein Jura-Student vor der Abschlussprüfung. Und wenn ich nicht gerade mit dem Kopf in den juristischen Tiefen steckte, spielte ich mit Talko. Aber der Kleine ist so mini, dass er quasi dauernd in den Schlummermodus schaltet und die meiste Zeit verschläft. Glücklicherweise. So bleibt wenigstens etwas Zeit, um produktiv zu sein.

Es ist punktgenau drei Uhr am Nachmittag. Der Mohnkuchen vor mir schielt, als ob er sich einen Sahne-Toupé wünscht. Habe ich aber gerade nicht auf Lager. Ist vermutlich besser so, sonst würde der Kalorien-Ticker auf „Eilmeldung“ springen. Der Kaffee dagegen ist ein Volltreffer. Fast so sehr wie die zwölf Foto-Motive, die ich heute ausgegraben habe. Natur pur, Tiere wie aus dem Hollywood-Blockbuster und Landschaften, die einem den Atem rauben. Genau meine Kragenweite, so was, was mich hinter die Linse lockt. Und genau diese Momentaufnahmen lade ich jetzt in einen Online-Shop und verkaufe sie. Jaja, das ist nicht gerade der Pulitzer-Preis. Ich weiß. Hab ich schon mal gemacht. Früher war das Ganze aber immer eine Odyssee. Eine Bestellung flattert rein, meine Bestellung düst raus, Warencheck, wieder verpacken, nochmal ab zur Post und ab geht die Post. Ehrlich gesagt? Das war nervig wie Sau und aus der Öko-Perspektive gesehen, totaler Bullshit. Nein, dieses Mal läuft es anders.

Diesmal gehen die erlesenen, handverlesenen Bilder direkt aus der Druckpresse auf die große Reise. Frisch vom Drucker, auf das absolut edelste Papier geknallt. Kein Witz. Die feine Struktur und die fühlbare Beschaffenheit dieses einzigartigen 308 g/m²-Papierkolosses sind einfach unschlagbar. Und für mich? Ein wahrer Segen, denn jetzt kann ich mich ganz aufs Fotografieren konzentrieren und muss mir nicht mehr die Haare raufen, wie die Meisterstücke von Wandbildern ihre neuen überglücklichen Besitzer und Besitzerinnen erreichen. Ich ackere mich jetzt nur noch durch Fotos, kümmere mich um den Online-Shop, das Marketing, die Steuern und merke dabei, dass das alles andere als wenig ist. Gott sei Dank muss ich nicht auch noch den Paket-Onkel mimen.

Also gut, das soll’s erstmal mit den Randnotizen sein. Wenn ich jetzt nicht auf die Tube drücke, verwandelt sich der Kaffee in eine Eiskaffee-Version, der Mohnkuchen könnte glatt als Wüstensand durchgehen. Und bevor der kleine Weimaraner-Rüde aufwacht und seine Playtime einfordert, möchte ich noch ein bisschen an dem Shop herumbasteln. Wenn er erst mal die Augen aufschlägt, will ich garantiert nicht mehr an Arbeit denken müssen, auch wenn ich zugeben muss, dass ich sie tatsächlich gern mache. Der Shop sollte in den nächsten Tagen fertig sein. Ich geb Bescheid. Versprochen. Hand drauf.