Fünfzehn.

Plötzlich bemerkte ich, es würde nicht reichen. Alles musste raus. Nicht nur die Tapeten. Alles. Einfach alles. Die Möbel. Die Leisten. Der Fußboden. Alles musste raus, bis lediglich der nackte, kalte Raum übrig blieb. Durch das Fenster sah ich den Himmel. In strahlendem Blau. Wolken zogen vorbei. Unaufhaltsam. Sie kamen, sie gingen und niemand hatte die Macht, dagegen etwas zu tun. Sie waren wie die Gedanken, die immer wieder auftraten, während ich dabei war, den Raum das das kleinstmögliche herunterzubrechen. 

Abriss

Auf dem Boden kniend, machte ich mich an die erste Sockelleiste. Eine Hamburger Leiste, fest in der Wand verschraubt. Während ich die Schrauben löste, um die Leiste von der Wand ziehen zu können, dachte ich darüber nach, dass der Raum nach und nach seine Rolle verlieren würde. Wenn die Möbel, die Farben, der Boden, all das, was ihn ausgemacht hatte, verschwunden waren, konnte niemand mehr mit Gewissheit sagen, was dieser einst gewesen sein könnte. Vielleicht wäre da noch die Erinnerung an das Wohnzimmer gewesen. Eventuell gäbe es eine Vorstellung, was aus diesem Raum werden könnte. Doch in dem Moment, in dem ich allein in diesem nackten Raum stehen würde, wäre er nicht mehr als das. Ein Raum.

Mir gefiel der Gedanke. Er löste in mir eine tiefe Zufriedenheit aus. Doch es war nicht der Raum, nicht die Tatsache, dass ich alles Überflüssige entfernen würde. Es war der Gedanke, dass ich alles in mir selbst, auf das Kleinste herunterbrechen könnte. Alles loslassen. Ich könnte alles in mir herunterbrechen, so lange, bis ich nackt und kalt vor mir selbst stehen würde. Was würde übrig bleiben, wenn die all die Rollen, die ich mir selbst auferlegt habe, nicht mehr da wären? Ich könnte mich selbst von allen Masken befreien, mich selbst entwickeln und nur das übrig lassen, was wirklich meinem ureigenen Selbst entspricht.

Schraubend auf dem Boden kniend, zogen Gedanken wie Wolken durch meinen Kopf. Leisten lösend, suchte ich nach Antworten. Ich stellte mir den Raum vor. Ohne all die Dinge, die ihn noch zu dem machten, was er war. Und ich fragte mich, wer ich sei, ohne all die Rollen, die ich angenommen hatte. Wer bin ich? Ganz bestimmt lässt sich die Antwort auf diese Frage nicht finden, während ich Hamburger Leisten von der Wand ziehe. Wahrscheinlich ist es so: wenn kein Attribut mehr zu den Worten „Ich bin“ hinzugefügt werden muss und ich das aushalten kann, erst dann bin ich wieder bei mir selbst.   

Das Klingeln der Haustür riss mich aus meinen Gedanken. Später, als ich meine Aufmerksamkeit wieder den Leisten widmen konnte, fiel mir auf, dass ich unbewusst begonnen hatte, ein leises Lied zu pfeifen. The Sound of Silence.