Fünfunddreißig.

Die letzte Runde geht auf mich…

Der Geruch der Lagerfeuer hatte sich in dem Hemd verfangen, welches ich an jenem Tag trug. Genau wie der Duft der Gaukler und Schmierbrote. Der Nachthimmel war mit Sternen übersät und trotz der Stille, die weitab vom Geschehen des Tages zu finden war, hallte der Klang der Gitarren, der Dudelsäcke und Flöten noch immer in meinem Gefühl. „Die Zeit, sie vergeht, und so viel geschieht. Doch manchmal, da bleibt uns ein kleines Lied. Und weiß auch der Teufel, wohin wir alle gehen, irgendwann gibt es ein Wiedersehn.“

Ich ließ mich auf den Fahrersitz fallen und blieb dort einen Augenblick lang sitzen. Ein tiefer Atemzug. Ein Blick in die Dunkelheit. Dann startete ich den Wagen. Auf der Autobahn spürte ich die Müdigkeit und das Taumeln meiner Gedanken. Der Tag, der hinter mir lag, war ein Ausflug in eine andere Welt, ein Ausbruch aus dem Alltag, eine Flucht vor dem was war und vielleicht ein Stück zurückkommen zu mir selbst. Um Haaresbreite hätte ich das Blaulicht der Polizisten übersehen, die am Straßenrand, im Schein der Taschenlampen, nach etwas suchten. Wonach? Das ging mich nichts an. Ich bremste ab und fuhr langsam vorbei, ohne näher darauf zu achten, was sie dort taten. 

Später, im Haus angekommen, warf ich die nach Lagerfeuer und Schmierbrote duftende Kleidung vor die Waschmaschine, legte ich mich in das Bett und zog mir die Decke bis zum Hals. Die Stille im Haus legte sich, wie ein wärmender Mantel zu mir. Doch sie vermochte es nicht, den Strom der Gedanken zu stoppen. Da waren so viele Fragen, ungelöste Rätsel, Gleichungen, die keine waren. Es war zwanzig vor drei, als ich einen letzten Blick auf die Zeiger der Uhr warf. Um sieben war die Nacht vorbei und der Alltag hatte mich zurück.

Die Worte von Alea, dem Bescheidenen, Sänger der Band Saltatio Mortis, hingen noch immer in meinem Kopf. Es waren die Worte, die davon erzählten, die Augenblicke des Lebens mit den eigenen Augen zu genießen und sich nicht ständig selbst in Versuchung zu führen, jene in den Smartphones und Kameras festhalten zu wollen. An anderer Stelle sprach er von Menschen, die uns einzureden versuchten, dass wir nichts taugen würden, und er ermahnte uns, dass wir diesen Stimmen keinen Glauben schenken dürfen. Viel wichtiger, so sagte er, sei es, auf sein eigenes Herz zu hören und dieser Stimme zu folgen, egal was andere dazu sagen würden. Wahrscheinlich hatte er recht, mit dem, was er sagte. 

Während ich den ersten Kaffee des neuen Tages trank, lief im Hintergrund jene Musik, die mich am Vorabend begleitet hatte. Ich schwelgte in Erinnerungen und spürte eine Schwere, die ich vor Stunden noch als Leichtigkeit betitelt hätte. Dinge ändern sich. Situationen ändern sich. Manche Menschen mögen Dinge nicht, die sie nicht verstehen. Und während einige sich darin versuchen, jene Dinge zu verstehen, urteilen andere. Doch das Urteilen, sofern man selbst keine Richterin oder kein Richter ist, war noch nie eine gute Idee. Vielleicht unterteilen wir die Welt zu oft in Gut und Böse, ohne uns selbst zu bemühen den Blickwinkel zu ändern. Der letzte Schluck Kaffee war bereits kalt geworden. 

Am Abend schaffte ich keine Folge der Serie, die ich gerade schaute. Müde und abgeschlagen legte ich mich schlafen. Ich schlief so lange, wie ich es seit geraumer Zeit nicht tat. Ich schlief so tief, dass ich sagen könnte, ich hätte von der Ruhe und der Stille der Dunkelheit und von der Macht des Nichts geträumt. Als ich erwachte, tönte mir wieder einmal die Melodie von Garfunkel im Ohr. 

Hello darkness, my old friend
I’ve come to talk with you again
Because a vision softly creeping
Left its seeds while I was sleeping
And the vision that was planted in my brain
Still remains

Die letzte Runde? Geht auf mich.