Einundsechzig.
In der zarten Dämmerung des beginnenden Tages, als der Horizont gerade begann, seine Schatten abzuwerfen, spiegelte der Tau – filigran und makellos – auf den Spinnweben das zarte Gleichgewicht des Lebens. Es war ein Kunstwerk, geformt von der Natur selbst, in dem jeder Tropfen das Licht einfing und es in einem Spektrum von Farben zurückgab, welches an die Magie aus alten Geschichten erinnerte.
Der Rest der Welt schien meilenweit entfernt, so als wären alle ihre Lärmquellen und Geschäftigkeiten durch eine unsichtbare Barriere ferngehalten. In dieser Abgeschiedenheit war es der Flügelschlag des Reihers, der die umgebende Stille berührte. Doch er störte nicht. Seine Bewegung durch die Lüfte ergänzte die Stille, als wäre er ein lebendiger Atemzug des Morgens selbst. Mit einer Eleganz, die fast zeitlos schien, flog er dahin, ein Schattenbild, das gegen den sich aufhellenden Himmel gezeichnet war.
Unter meinen Sohlen spürte ich das körnige Gefühl des feuchten Sands, das leise Knirschen, das Erinnerungen an endlose Sommerspaziergänge weckte. An meiner Seite lief Talko, mein treuer Hund, dessen sanfte Schritte und neugierige Schnüffeln einen Kontrast zu meiner eigenen ruhigen Betrachtung der Umgebung bildeten. Jeder seiner Bewegungen schien von einer spielerischen Neugier getrieben, einer Lust, jeden Duft und jede Bewegung des Morgens zu erkunden. Die Luft, die ich atmete, war nicht mehr die gleiche, warme Umarmung des Sommers. Sie trug bereits die kühlen, erdigen Noten des kommenden Herbstes in sich, eine Ankündigung, dass die Zeiten des Wandels nah waren.
In der Ferne, vielleicht nur noch ein paar Tage entfernt, konnte ich mir das rhythmische Dröhnen der Erntemaschinen vorstellen. Ein Lied der Menschheit, welches uns daran erinnerte, dass auch wir ein Teil dieses ewigen Kreislaufs sind. Dass es bald Zeit wäre, die Ernte einzubringen und uns gegen die Kälte des Winters zu wappnen. Aber heute, in diesem Moment, gab es nur den Tau, den Reiher, Talko, der froh neben mir her trottete, und die verheißungsvolle Stille des Morgens.
Inmitten des Gewirrs des Lebens, wo Tage zu Nächten verschwimmen und Zeit ihren Sinn zu verlieren scheint, gibt es Momente, in denen die Welt innehält. Einen dieser Augenblicke erlebte ich an diesem Morgen, als der Tau filigran auf den Spinnweben ruhte. Die Stille dieses Morgens war so greifbar, dass es schien, als könnte man sie in den Händen halten.
In diesen seltenen Augenblicken verblasst Vergangenheit und Zukunft, und das Jetzt tritt in den Vordergrund. Es ist als ob man, von der simplen Schönheit der Welt überwältigt, für einen kurzen Moment den unaufhörlichen Strom der Gedanken zum Stillstand bringen kann. In solchen Momenten bin ich nicht nur ein Beobachter, sondern werde Teil dieser Szenerie, verschmelze mit der Stille, dem Tau, dem Reiher am Himmel. Es ist ein tiefes Eintauchen in die Essenz des Seins, ein Erinnern an das, was wirklich zählt. In diesen seltenen Augenblicken verschwinden Zeit und Raum; es gibt keine Schatten der Vergangenheit oder Versprechen der Zukunft. Was bleibt, ist das reine, unverfälschte Jetzt.
Es könnte ein Baum sein, dessen Rinde ich fühle, dessen Alter und Geschichte sich unter meinen Fingerspitzen verbergen. Oder eine bescheidene Pflanze am Wegesrand, die gegen alle Widrigkeiten des Lebens kämpft und dennoch in ihrer Stille verharrt. Oder, wie an jenem Morgen, der elegante Flug des Reihers, der die Morgenstille durchschneidet, aber nie wirklich stört. In diesen Momenten bin ich ganz bei ihnen, verliere mich in ihrer stillen Präsenz, und spüre ihre tiefe Verbindung zur Erde, zur Welt, zum Sein.
Die Natur, in ihrer unendlichen Weisheit, wird zu meiner Lehrerin, sie lehrt mich die Kunst der Stille, das Zuhören ohne Worte, das Fühlen ohne Berührung. Es ist ein Eintauchen in ein tiefes Bewusstsein, ein Erkennen des eigenen Kerns.
Manche mögen das nicht verstehen. In einer Welt, die von Lärm und Hast geprägt ist, wird die Stille oft übersehen, als wertlos betrachtet. Doch wenn der Lärm des Lebens unsere innere Ruhe übertönt, verlieren wir den Kontakt zu uns selbst. Wir werden zu Schatten, verirren uns in den Korridoren unserer eigenen Gedanken und Sehnsüchte. Aber hinter all den Masken, den Rollen und Titeln, fernab von Namen und Formen, dort finden wir unser wahres Selbst, unser unveränderliches Ich. Und in diesen stillen Augenblicken, eingeschrieben in die Ewigkeit, erkennen wir es.
Als ich an diesem Morgen die ersten, veränderten Konturen der Landschaft betrachtete, bemerkte ich, wie sich der Herbst schon sanft aber bestimmt auf die Erde legte. Er kam nicht nur als eine Erinnerung an den Zyklus der Jahreszeiten, sondern auch als eine Metapher des Endes und Neuanfangs. Ebenso, wie die Natur sich in einen tiefen Schlaf begibt, um sich auf den Tod vorzubereiten, nur um im Frühling in neuer Schönheit und Vitalität wiederzuerwachen, spürte ich in meiner eigenen Existenz ein ähnliches Echo dieses Rhythmus.
Die Bäume schienen müde, ihre schweren Blätter, die bald fallen würden, noch ein letztes Mal zu halten, bevor sie sie dem Wind überließen. Diese Erschöpfung, diese Sehnsucht nach Entlastung, spiegelte sich in meiner eigenen Seele wider. Es wurde mir bewusst, dass ich, ähnlich wie die Natur, mich von Dingen, die ich zu lange mit mir herumgetragen hatte, befreien musste. Masken, die ihre Form verloren hatten, Rollen, die ich, ohne zu hinterfragen, Jahr für Jahr gespielt hatte, und Gepäck, das ich nicht mehr benötigte.
Ich stand an einem Punkt, an dem ich mich fragte, ob das Festhalten an alten Strukturen und Mustern mich wirklich meiner wahren Essenz näher brachte. Denn das Streben nach der besten Version von uns selbst erfordert oft das mutige Loslassen. Das bedeutet, dass wir, auch wenn es schwerfällt, manchmal „Lebe wohl“ sagen müssen. Ob es nun Erinnerungen, Überzeugungen oder Ideale sind – das Loslassen ist ein notwendiger Prozess, um uns auf unsere wahre Natur und das Potenzial, das in uns liegt, zu besinnen. Es ist der Weg, den wir alle gehen müssen, wenn wir wirklich verstehen wollen, was es bedeutet, vollständig zu sein.
Inmitten der ständigen Bewegung des Universums erlebte ich eine ironische Stille, als ich beobachtete, wie die Sonne scheinbar ihren Weg über den Himmel vor mir zog. Natürlich wusste ich, dass sie stillstand, dass es unsere Erde war, die sich drehte und das tägliche Schauspiel des Sonnenauf- und -untergangs kreierte. Aber in diesem Moment, in dieser kleinen Ewigkeit, in der ich der stillen Choreographie des Kosmos beiwohnte, spürte ich, wie sich meine Perspektive verschob.
Der Dunst des Morgens, der die ersten Stunden des Tages wie einen sanften Schleier bedeckte, wurde von ihren goldenen Strahlen durchbrochen. Ihre Wärme, die meine Haut berührte, war sowohl Trost als auch Versprechen. Und als dann ein zarter Wind aufkam und meine Wangen streichelte, konnte ich mir nicht helfen, diesen Augenblick mit dem letzten Akkord eines symphonischen Meisterwerks zu vergleichen. Es fühlte sich an, als würde ich die abschließenden Noten eines Liedes hören, das in der stillen Harmonie einer friedvollen Welt komponiert wurde.
Mit dem vertrauten Gefühl des Endes kam auch die Erkenntnis: jedes Ende tanzt mit dem Neuanfang. Es ist ein ewiger Zyklus, der uns lehrt, dass Loslassen nicht das Ende, sondern vielmehr der Beginn von etwas Neuem ist. Die alten Blätter müssen fallen, damit neue Triebe Platz finden, genau wie alte Melodien enden, um Platz für neue zu schaffen. In diesem Moment, umhüllt von Licht und Musik, spürte ich, dass es Zeit war, mich dem Fluss des Lebens hinzugeben und endlich loszulassen.
ZWISCHENTÖNE – der leise Klang des Lebens.
Stelle dir vor, du betrittst ein Universum, in dem Träume in den versteckten Winkeln eines Sekretariats zum Leben erwachen, und in einem altertümlichen Kräuterladen Gestalt annehmen. Dort, wo der unendliche Raum des Digitalen greifbare Konturen bekommt und zwei Seelen, unabhängig von Distanzen, zueinander finden. Und dort, wo verborgene Gassen nicht nur zu mysteriösen Plätzen, sondern auch zu introspektiven Enthüllungen über das eigene Selbst führen.