Einundfünfzig.

Mein letztes Wacken? Ha, da gibt’s einiges zu erzählen. Jedes kleinste Detail wiedergeben? Nee, das wäre als ob ich behaupten würde, die Bibel auf Aramäisch rückwärts aufsagen zu können. Bei so einem Festival transformieren sich die meisten Typen* von harmlosen Hobbits zu vollpanzernen Rittern, die mehr als einen über den Durst trinken. In unserer kleinen Festung, ein Katapultschuss vom heiligen Acker entfernt, haben wir uns die Kante gegeben wie achtarmige Oktopusse. Wir fingen meist schon morgens an, als ob es kein Morgen gäbe. Allerdings waren immer schon früh auf dem Gelände und hatten uns bis zum Start des Festivals eine solide Sauf-Strategie zurechtgelegt. Klar, wir waren meist dichter als der Verkehr in der Rush-Hour, breit wie die Schultern von Arnold und hatten eine Fahne, die selbst das Berliner Rathaus in den Schatten gestellt hätte. Aber wir konnten trotzdem die meiste Zeit des Festivals genießen. Heute stolz darauf? Eher nein. Aber damals, da war das einfach so.

Trotzdem, dieses Wochenende in Wacken war absoluter Wahnsinn. Alice Cooper, Amorphis, Callejon, Danzig, Deep Purple, Motörhead, Nightwish, Subway to Sally, Trivium, Ugly Kid Joe und eine ganze Armada an Bands. Hätte ich damals schon gewusst, wer oder was Versengold ist, hätte ich mir die Jungs auf jeden Fall reingezogen. Aber Pustekuchen. Dafür bin ich mit Matt Heafy auf Tuchfühlung gegangen, habe ein bisschen Smalltalk mit Tim Mälzer gemacht und mich bei ein, zwei Bier im Gibson-Tour-Bus über Gitarren ausgelassen, als ob ich ein gestandener Rockmusiker wäre. Und dann bin ich mit ein paar Erinnerungsfotos nach Hause gekrochen, die mehr nach Alptraum als nach Erinnerung aussahen. Naja, das Ganze war 2013 und liegt nun schon ein ganzes Jahrzehnt zurück. Die Zeit schreddert schneller als eine Heavy-Metal-Gitarre, und ehe man sich versieht, fegt schon wieder der Herbstwind die Straßen leer.

Wie gesagt, mein letztes Wacken-Abenteuer liegt nun schon gute zehn Jahre zurück. Und während bei den meisten Leuten auf alten Fotos die Jugendlichkeit sprichwörtlich aus den Bildern springt, da denke ich manchmal, wenn ich meine alten Wacken-Fotos anschaue, dass dort ein völlig anderer Typ stand. Aber hey, Zeiten ändern sich, und ich bin nicht mehr der Mensch von damals. Trotzdem, in diesen Tagen werfe ich einen Blick auf das aktuelle Treiben in Wacken. Und was soll ich sagen? Mir tut es echt alles so leid.

Das Wetter hat das Gelände in eine einzige Matschlandschaft verwandelt. Patschnass und unpassierbar, da kann man nur noch mit den Gummistiefeln des Schicksals durchpflügen. Überall auf den Autobahnen rund um Wacken, auf den Parkplätzen, siehst du Leute warten, die eigentlich nur eines wollen: abrocken auf dem Festivalgelände. Doch statt das es weitergeht, gibt es da diesen unheilvollen Einlassstopp. Niemand kommt mehr rein. Ganz egal, ob du dein Ticket ordentlich erstanden hast oder nicht. Das Festivalgelände ist dicht, und die metallischen Fans aus aller Herren Länder haben gefühlt keine Ahnung, wie es weitergeht. Stell dir das mal vor: Du hast viel Geld für das Ticket hingelegt, bist vielleicht sogar aus einer fernen Metropole angereist, und jetzt? Nix da, ab nach Hause. Das ist wie ein Stage-Dive, bei dem die Crowd dich fallen lässt. Total frustrierend!

Ich stell mir gerade vor, wie es wohl ist, in den Schuhen dieser Veranstalter zu stecken – und ich muss sagen: Ich kann es nicht. Stell Dir nur mal vor: Du guckst in den Himmel und alles was du siehst, ist grau und nass. Von oben kommt nur Wasser und unten verwandelt sich dein Festivalgelände mehr und mehr in eine Schlammsuppe. Du zündest Kerzen an, opferst deinen letzten Schokoriegel an die Wettergötter und hoffst inständig, dass sich die Lage noch irgendwie dreht. Aber nichts. Absolut nichts ändert sich. Am Ende musst du eingestehen, dass die Show nicht weitergehen kann. Du hast das Gefühl, dass du eine dicke, unzerstörbare Glaskugel in der Hand hattest und plötzlich platzt sie einfach. BUMM. Alles nur eine Seifenblase. Und was jetzt? Machst du trotzdem Party, mit den paar Leuten, die schon da sind und pfeifst auf die, die draußen bleiben müssen? Oder bläst du das ganze Ding ab und schickst jeden heim, inklusive deinem stolzen Veranstalter-Ego? Über das finanzielle Desaster, das dabei entsteht, fang ich gar nicht erst an zu reden.

Ich muss echt sagen, in deren Haut will ich nicht stecken. Ich will mir auch gar nicht anmaßen, ein Urteil zu fällen. Aber mal ehrlich, die Situation ist kompletter Mist und ich hab echt Mitleid mit allen, die da mit drinhängen.

* Die meisten Typen. Nicht alle. Und selbst Frauen orgeln sich da bei Zeiten amtlich einen rein. Einige. Nicht alle.