Dreiundzwanzig.
Der letzte Rest Winterluft fegte durch die Gassen der Pariser Innenstadt. Es roch nach Boeuf Bourguignon und gutem Wein. Das letzte Sonnenlicht spiegelte sich in den Schaufenstern der Geschäfte, als ein Geschäftsmann allein über das Kopfsteinpflaster spazierte. Er war in der Stadt, um ein in Schieflage geratenes Unternehmen aufzukaufen. Das allerdings bedeutete nichts anderes, als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlassen und es zu liquidieren.
An einem der kleinen Lokale, aus dem es besonders gut roch, blieb er stehen. Er schaute durch das Fenster in das Innere des Restaurants und sah, dass es beinahe bis auf den letzten Stuhl gefüllt war. Es musste gut sein, dachte er sich. In der Nähe der Eingangstür hing eine kleine Tafel. „Demain, il y aura de la nourriture gratuite dans notre restaurant.“, war darauf zu lesen. Fein säuberlich, mit Kreide geschrieben. Diese kleine Tafel besagte, dass es morgen in dem Restaurant kostenloses Essen geben würde. „Wunderbar“ dachte sich der Geschäftsmann. Ein Essen, ohne dafür zu zahlen zu müssen, wäre ein krönender Abschluss eines erfolgreichen Tages. Da das Restaurant so gut besucht war, nahm er an, dass es gut sein müsse. Also ging er durch die kleine Tür, um sich einen Platz für den nächsten Tag zu reservieren.
Ein älterer Herr, der am Tresen stand, nahm seine Reservierung entgegen. Sicherheitshalber, der Geschäftsmann ging immer auf Nummer sicher, fragte er noch einmal nach, ob das, was auf dem Schild stand, tatsächlich so sein würde. „Ja“, sagte der alte Herr, „wenn es so auf dem Schild steht, wird es so sein.“
Am nächsten Abend, der Geschäftsmann hatte seine Verträge unterzeichnen lassen und die notwendigen Rechtsgeschäfte eingeleitet, machte er sich wieder auf den Weg zu dem kleinen Lokal. Er dachte nicht über die Menschen nach, die in den nächsten Wochen ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Viel mehr freute er sich über die Summen, die durch die Liquidation fließen würden. Zielstrebig ging der Mann durch die Eingangstür des Restaurants und sah den alten Herren wieder am Tresen stehen. Dieser stellte sich als der Inhaber des kleinen Lokals vor und führte den erfolgreichen Geschäftsmann zu seinem Platz. Es war ein gemütlicher Tisch am Fenster. Von dort aus konnte er die Frauen und Männer sehen, die an dem Lokal vorbei spazierten. Und genau wie am Vortag roch es nach Boeuf Bourguignon und das Licht der untergehenden Sonne spiegelte sich in den Schaufenstern und tauchte die Markisen in ein warmes Licht.
Der ältere Herr reichte ihm die Karte, der Geschäftsmann studierte sie. Nur wenige Augenblicke später entschied er sich für das „FILET DE BOEUF“. Darüber hinaus bestellte er „CRÊPES SUZETTE FLAMBÉES“ und dazu eine Karaffe Wein vom Château Beychevelle. Der ältere Herr nahm ihm die Karte ab, bedankte sich freundlich für die Bestellung und brachte ihm das Essen, als die Küche es rausgab. Der Geschäftsmann, hungrig vom Tag freute sich über dieses wunderbare Essen. Genüsslich nahm er jeden Bissen zu sich, trank Schluck um Schluck und wischte sich den Mund mit der Stoffserviette sauber, als er mit dem Essen fertig war. Dann winkte er den älteren Herren zu sich, um sich für das Essen zu bedanken. „Sehr gerne“, sagte der ältere Herr. „möchten Sie nun die Rechnung oder darf es noch etwas für Sie sein?“
Der Geschäftsmann war erstaunt, hatte er doch angenommen, dass es an diesem Tag keine Rechnung geben würde. Zornig sah er den alten Mann an. „Als ich gestern hier war, sagten sie doch, dass das, was auf dem Schild stehen würde, stimmen würde. Daher nahm ich an, dass Essen heute sei, kostenlos.“ Der ältere Herr, ganz ruhig und besonnen, schaute dem Geschäftsmann mit einem Lächeln in die Augen. „Gehen sie doch noch einmal nach draußen und lesen Sie das Schild.“ Der Geschäftsmann stand auf, ging durch die Eingangstür und warf einen Blick auf das Schild, auf dem wieder, fein säuberlich mit Kreide geschrieben stand:
„Demain, il y aura de la nourriture gratuite dans notre restaurant.“
Morgen gibt es bei uns im Restaurant kostenloses Essen.“