Achtundfünfzig.

Ich erinnere mich.

Es ist manchmal so, dass manche Abende in der Erinnerung verharren, sich festsetzen, nicht loslassen. Wie ein schwerer Tropfen Tinte, der sich in einem Buch festsetzt und ein Zeichen hinterlässt, das man nicht mehr vergessen kann. An diesem Abend, im August, war es genau so.

Ich erinnere mich an Richards Worte, aber es war nicht nur das. Es war die ganze Stimmung, die Atmosphäre, die sich über uns legte. Die Sonne, die sich langsam dem Horizont zuneigte, schien die Welt in ein goldfarbenes Licht zu hüllen. Nicht dieses grelle Tageslicht, sondern eine Farbe, die beruhigt, die an Kindertage erinnert, an einfache Zeiten. Ein Orange, so tief und voll, dass es wie eine Decke über der Welt lag. Es schien, als ob die Natur selbst für diesen Moment innehalten würde.

Die wenigen Wolken, die sich noch am Himmel zeigten, wurden zu Zeugen dieses Naturschauspiels, indem sie die warmen Farbtöne annahmen. Es war der Geruch von Stroh und Gras, der mir in die Nase stieg. Dieser scharfe, frische Duft, der so typisch für den Spätsommer ist und den man nicht mit anderen Jahreszeiten verwechselt. Das Zirpen der Grillen erfüllte die Luft und setzte den Akzent auf die friedliche Stimmung. Schwalben tanzten hoch oben, ein Vorbote des folgenden Tages, der ebenso vielversprechend zu sein schien.

Ich erinnere mich, dass solche Abende oft in Liebesliedern beschrieben werden, in denen die Welt still zu stehen scheint und alles möglich ist. Aber an diesem Abend war es nicht die Romantik oder ein Hauch von Versprechungen, der in der Luft lag. Wir waren nicht durch die Bande der Liebe oder die Nähe einer alten Freundschaft verbunden. Stattdessen war es ein gemeinsames Interesse, das uns zusammenbrachte. Dieses Interesse, so fein und doch so entschlossen, bildete das unsichtbare, aber unzerbrechliche Band, das uns in dieser Dämmerung verband. Es war das leise Flüstern zwischen uns, das sich über die Melodie des Sommers erhob und unseren Begegnungen Bedeutung verlieh.

In jener Dämmerung, die bereits von der Erinnerung eines goldenen Augustabends geküsst war, fanden wir uns in einer seltenen Konstellation wieder. Frauen und Männer, ein Mosaik von Persönlichkeiten, so vielfältig, dass man meinen könnte, der Zufall habe uns zusammengeworfen. Das Alter, unsere Lebenswege, unsere Berufe – sie bildeten keine erkennbaren Muster. Und dennoch, in dieser augenscheinlichen Willkür, gab es eine Ordnung. Es war nicht wichtig, warum wir uns trafen, sondern dass wir es taten.

Ein improvisiertes Bankett, geprägt von den leisen Klängen von Glas und Gelächter. Gespräche, die durch die Luft schwebten, manche dringend und schwer wie Tropfen eines Gewitters, andere leicht und ungezwungen. In der Mitte dieses Sturms von Worten und Gedanken fand sich das kühle Bier, das sich an unsere Lippen schmiegte, und der scharfe Schnaps, der den Atem in der Kehle stocken ließ.

Die Stimmen vereinten sich in einem Chor, in dem jedes Lachen, jedes Argument seinen Platz fand. Und dann, irgendwann, als die Müdigkeit an manchen Stimmbändern zerrte, erhob sich Richard. Sein Blick schweifte über uns, und es schien, als ob er einen Moment lang den Puls der Runde erfasste. Er sprach in einem Ton, der ebenso gut ein Lächeln wie ein ernstes Wort sein könnte: „Nun ist Schluss. Alles Schöne muss endlich sein.“

Alles Schöne muss endlich sein.

Jener Abend im August prägte sich tief in meine Erinnerung. Damals, vielleicht im Alter von zweiundzwanzig, vielleicht einige Jahre mehr auf meinen Schultern, konnte ich die Worte Richards nicht wirklich fassen. Warum sollte man das Ende eines perfekten Moments herbeisehnen? Warum nicht weitergehen, bis man das letzte Quäntchen Freude aus dem Leben gepresst hat?

Jahre sind vergangen, und sie haben ihre Spuren hinterlassen. Das Spiegelbild zeigt einen anderen Mann: silberne Strähnen ziehen sich durchs Haar, Falten graben sich tiefer in die Haut, das Haar, das einst dicht und voll war, lichtet sich. Ich sehe älter aus, erinnere mich an Richards Ausdruck und frage mich, ob er damals in etwa so alt war wie ich jetzt. Lange schon gehöre ich nicht mehr zu diesen Treffen, und fast zehn Jahre ist es her, dass Alkohol meine Lippen berührte. Doch heute, mit einem größeren Reservoir an Lebenserfahrung, erkenne ich die Wahrheit in Richards Worten: Alles Schöne muss endlich sein. Es ist eine Erkenntnis, die sowohl Melancholie als auch Akzeptanz in sich trägt.

Zeitsprung.

Im Jahr 2014 setzte ich einen kühnen Schritt: Ich wurde selbstständig, fotografierte Hochzeiten. Dieser besondere Moment, in dem zwei Menschen den Bund fürs Leben schließen, zog mich an. Doch ich haderte mit den gängigen Formulierungen, die diesen Tag oft als den „schönsten Tag im Leben“ etikettierten. Denn, wenn das der Höhepunkt war, welches Echo würde dann die Zukunft bringen? Ein Echo der Stille? Eine Erwartung, der man ständig nachjagt, sie aber nie wirklich erreicht? Doch diese Gedanken, so tief sie auch gehen mögen, sind nur Randnotizen.

2019 war das Jahr der Wandlung. Eine stetig wachsende Kluft erschien zwischen dem, was die Paare von mir erwarteten, und dem, was ich mit meiner Kamera einfangen wollte. Während die modernen Feierlichkeiten immer stärker in das Licht der Perfektion rückten, suchte ich in den Ecken des Unperfekten, des Echten, des Lebens. Die Hochglanzwelt der Hochzeiten ließ wenig Raum für die schlichten, authentischen Momente, die ich so schätzte. Es waren nicht nur die Bilder selbst, sondern die Inszenierung der Feierlichkeiten, das Streben nach einem nicht existierenden Ideal.

2020 sollte das Jahr sein, in dem ich mich aus der Welt der Hochzeitsfotografie zurückzog. Doch das Schicksal entschied anders. Was ich damals nicht ahnen konnte: Mein eigentlich letztes Jahr war 2019. Ein Virus, unsichtbar und doch so allumfassend, änderte alles. Corona, ein Name, der das Gesicht einer ganzen Epoche prägte, nahm mir die Entscheidung ab. Es war, als ob die Welt selbst mir sagte, dass es Zeit war, weiterzuziehen. Ich beendete dieses Kapitel im richtigen Augenblick: Alles Schöne muss endlich sein.

Jetzt.

Dieser Morgen im August. Während die Sonne noch vorsichtig über den Horizont lugte, sah ich, wie die ersten Kraniche am Himmel ihre Bahnen zogen. Ihre charakteristischen Rufe schallten durch die Luft, und sie verkündeten, was bald kommen wird: den Herbst. Jener Moment vermittelte mir eine Tiefe, die nur selten im Leben gespürt wird. Ein Moment, in dem man sich seiner eigenen Existenz bewusst wird, in all seiner Zerbrechlichkeit und gleichzeitig seiner Größe.

Vielleicht war es der Geruch des frisch gemähten Grases, der mir in die Nase stieg. Vielleicht waren es die monumentalen Strohballen, die sich über die Felder erstreckten und nichts mehr von der schlichten Romantik der kleineren Strohballen meiner Kindheit hatten, die dieses Nachsinnen auslösten. Diese modernen Giganten, ordentlich und effizient, verbannten die Erinnerungen an jene Tage, als ich noch ein Junge war, in den Schatten.

Inmitten dieser reflektierenden Stimmung bemerkte ich, dass ich mich, ähnlich wie die Jahreszeiten, in einem Zustand des Übergangs befand. Einem Zustand, in dem ich nicht nur darüber nachdachte, wer ich in diesem Moment war, sondern auch darüber, wer ich werden wollte, oder besser gesagt, wer ich werden musste. Es ist das Paradoxon des Lebens: Man muss erst feststellen, was man ist, um herauszufinden, was man werden kann. Doch dieser Morgen, mit seiner stillen Schönheit, bot mir keine Antworten. Er ließ mich nur mit der tieferen Frage zurück: Was bin ich wirklich?

Wer willst Du sein?

Inmitten meiner Reflexionen kommt mir ein Gedanke von Paul Arden, einem weisen Mann, der einst mit erhabener Einfachheit sagte: „Es kommt nicht darauf an, wer Du bist, sondern wer Du sein willst.“ Dieser Satz, scheinbar simpel in seiner Formulierung, birgt eine tiefgreifende Erkenntnis. Es geht nicht um unsere Herkunft, die Fehler, die wir in der Vergangenheit begangen haben, oder den kulturellen und familiären Hintergrund, in den wir hineingeboren wurden. Nein, es geht um den Horizont, den wir für uns selbst stecken, um die Ziele, die wir verfolgen.

Fast jeder Mensch, unabhängig von seinem derzeitigen Zustand, hat das unermessliche Potenzial, sich neu zu erfinden, zu wachsen, über sich hinauszuwachsen. Anstatt im Sog der Vergangenheit oder den Umständen der Gegenwart gefangen zu bleiben, sollten wir uns von dem leiten lassen, was in unserer Vorstellung von der Zukunft liegt. Von den Träumen und Visionen, die uns in ruhigen Momenten überkommen, wenn die Welt um uns herum verstummt.

Es wäre klug, sich von den Fesseln der äußeren Urteile zu befreien, von Meinungen, die darauf abzielen, uns in ein vorgefertigtes Muster zu pressen. Anstatt sich diesen Einschränkungen hinzugeben, sollten wir uns der essenziellen Frage stellen: Wer möchten wir wirklich sein? Es liegt in unserer Hand, unser Schicksal zu formen, unsere Bestimmung aktiv zu gestalten.

Und während ich darüber nachdenke, wird mir klar, dass Erkenntnis manchmal mit Akzeptanz einhergeht. Die Akzeptanz, dass alles Schöne endlich sein muss.